VOX-Analyse zur Abstimmung vom Juni 2024: Keine Volksmehrheit für die zweite linke Initiative des Jahres

26.07.2024 | Jenny Roberts, GFS Bern

Bei der Abstimmung am 9. Juni 2024 scheiterte die Prämienentlastungs-Initiative, da sie keine breite Mobilisierung über das linke Spektrum hinaus erreichte und keine klaren Anspruchsgruppen aktivierte. Nach der Annahme der 13.-AHV-Initiative im März stand die finanzpolitische Vernunft wieder im Zentrum, was die Nein-Seite stärkte. Viele befürchteten, dass die Umsetzung der Prämienentlastungs-Initiative zu teuer würde und die Ursachen des Kostenwachstums nicht angegangen würden. Die Diskussionen um die Finanzierung der 13. AHV-Rente und die Bundesfinanzen haben das Meinungsklima in den letzten drei Monaten verändert.

Prämienentlastungs-Initiative

Die Volksinitiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» fordert, dass die Versicherten höchstens 10 Prozent des verfügbaren Einkommens für Prämien aufwenden müssen. Deshalb sollen Bund und Kantone die Prämienverbilligungen erhöhen. Die Vorlage wurde von einer Mehrheit abgelehnt. SP- und Grünen-Sympathisierende stimmten überwiegend ja, jedoch erreichte das Vorhaben über das linke Lager hinaus keine Mehrheiten.  FDP- und SVP-Sympathisierende haben die Initiative am stärksten abgelehnt. Hohes Vertrauen in die Gewerkschaften sowie in Gesundheitsorganisationen und -verbände erhöhte den Ja-Stimmenanteil, beim Vertrauen in die Krankenkassen zeigte sich hingegen kein signifikanter Zusammenhang.

Bezüglich den Motiven nannten die Nein-Stimmenden am häufigsten die Finanzierung der Initiative, die sie als unsicher und teuer beurteilten. Während im vergangenen März, als die Initiative für eine 13. AHV-Rente angenommen wurde, die finanzpolitische Komponente im Hintergrund blieb, machten sich die Stimmenden bei der neusten Abstimmung vermehrt Sorgen um die Finanzierungfrage. Die parlamentarischen Diskussionen rund um die Umsetzung der 13. AHV-Rente sowie zur Lage des Bundeshaushalts insgesamt haben das Meinungsklima geändert.

Die Mobilisierung unterschied sich von derjenigen bei der Abstimmung zur 13. AHV-Rente. Im März war die Beteiligung generell hoch, insbesondere die Alterskohorten ab 50 Jahre nahmen aber deutlich häufiger teil als beim Abstimmungssonntag im Juni. Die Beteiligung von Linksaussen war bei der Abstimmung im März ebenfalls sehr hoch, und auch Stimmende ohne Hochschulabschluss stimmten deutlich häufiger ab. Diese Segmente der Bevölkerung legten überwiegend ein Ja ein für die 13. AHV-Rente. Im Vergleich dazu schaffte es die Prämienentlastungs-Initiative nicht, eine klare Zielgruppe zu definieren und diese auch konsequent an die Urnen zu locken.

 

Kostenbremse-Initiative

Die Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» der Mitte-Partei adressiert ebenfalls die steigenden Kosten im Gesundheitswesen. Durch die Einführung einer Kostenbremse soll das Kostenwachstum in der obligatorischen Krankenversicherung gebremst werden. Den Stimmberechtigten fiel es schwerer als bei den anderen drei Vorlagen des Abstimmungssonntages, sich eine Meinung zur Vorlage zu bilden. Eine deutliche Mehrheit der Stimmbevölkerung war schliesslich dagegen. Keine Untergruppe des Stimmvolks befürwortete die Initiative klar. Auch Sympathisierende der Mitte-Partei, die hinter dem Initiativevorhaben stand, waren gespalten. Neben der Mitte stimmten am ehesten noch Grünen-Sympathisierende für die Vorlage. Stimmende, die der FDP- oder der SVP nahestehen, sagten am deutlichsten Nein zur Kostenbremse.

Auf der Nein-Seite wurde die Initiative häufig als unausgereift betrachtet: Vielen leuchtete nicht ein, weshalb die Kosten der Gesundheitsversorgung an die Wirtschaftsentwicklung gekoppelt werden sollten. Zudem wurde befürchtet, dass ein Kostendeckel zu einer Rationierung in der Gesundheitsversorgung oder einer «Zweiklassenmedizin» führen könnte.

 

Freiheits-Initiative

Die vom Verein Freiheitliche Bewegung Schweiz lancierte Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit (Freiheits-Initiative)» will, dass jegliche Eingriffe in die körperliche oder geistige Unversehrtheit nur mit ausdrücklicher Zustimmung der betroffenen Person erfolgen dürfen und dass Personen nicht benachteiligt werden, wenn sie einen solchen Eingriff ablehnen. Die Initiative wurde vom Stimmvolk deutlich abgelehnt. Linke Kreise waren am deutlichsten dagegen. Knapp die Hälfte der SVP-Sympathisierenden und der Parteilosen legten ein Ja ein. Das Stimmverhalten hängt stark mit dem Vertrauen in Institutionen zusammen: Personen, die dem Bundesamt für Gesundheit, der Covid-19-Taskforce oder der Hausärzteschaft misstrauen, stimmten deutlich häufiger Ja. Der Ja-Anteil fiel auch bei Stimmenden mit tieferen Einkommen tendenziell höher aus.

Für die Pro-Seite stand die Unantastbarkeit der individuellen Freiheit bei ihrem Entscheid im Zentrum. Es wurde ebenfalls moniert, dass Menschen wegen ihrer Haltung zu Impfungen während der Pandemie ausgegrenzt worden seien. Manche Befürwortende befürchten, dass man sich diesbezüglich nicht auf die Politik verlassen kann. Die Gegnerschaft der Initiative empfand das Vorhaben grösstenteils als unnötig, da das Grundrecht auf körperliche und geistige Unversehrtheit bereits in der Verfassung besteht. Die Nein-Stimmenden äusserten häufig Unverständnis für das Anliegen der Initianten, unter anderem, da sie Impfungen als wichtige Massnahme in der Epidemiebekämpfung betrachten.

 

Stromgesetz

Das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien will die Schweizer Stromversorgung stärken, indem insbesondere der Ausbau von Solar-, Wind- und Wasserkraft erleichtert wird. Eine grosse Mehrheit der Stimmenden segnete das Gesetz an der Urne ab. Die Zustimmung war über das gesamte politische Spektrum hoch, mit Ausnahme der SVP-Sympathisierenden. Personen, die Umweltschutz höher gewichten als wirtschaftlichen Wohlstand, Atomenergie ablehnen oder gesellschaftliche Solidarität wichtiger als Eigenverantwortung wahrnehmen, stimmten besonders häufig Ja.

Die zentralen Argumente für das Gesetz betonten, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien dringend ist – unter anderem, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Der Vorlage kam zugute, dass sie auf eine übergeordnete Ebene zielt: Im Gegensatz zu vergangenen umweltpolitischen Vorlagen, wie beispielsweise dem 2021 abgelehnten CO2-Gesetz, stand beim Stromversorgungsgesetz die Energiewende als übergeordnetes Ziel im Zentrum – und nicht Verhaltensänderungen der Stimmenden, Verteuerungen oder konkrete Bauprojekte, die eher auf Widerstand stossen. Die Befürwortenden begründen ihr Stimmverhalten ebenfalls damit, dass die Abhängigkeit vom Ausland durch das Gesetz verringert würde. Auf der Nein-Seite wurde die Verschandelung von Landschaften zugunsten der Stromversorgung befürchtet. Ausserdem gebe es bessere Alternativen zum vorliegenden Gesetz und die demokratischen Mitspracherechte würden dadurch beschnitten.

 

Die Beteiligung

Die Beteiligung am 9. Juni 2024 war mit rund 45 Prozent im langjährigen Vergleich durchschnittlich. Stimmende an den politischen Polen nahmen stärker an den Abstimmungen teil als Personen in der politischen Mitte. Die Vorlagen waren für die Stimmbevölkerung unterschiedlich wichtig: Das Stromgesetz erzielte mit einem Durchschnitt von 8.0 einen hohen Wert, während die persönliche Bedeutung der Freiheits-Initiative mit 5.7 tief ausfiel. Die Prämienentlastungs- und Kostenbremse-Initiativen lagen dazwischen. Die Kostenbremse war die am schwierigsten zu verstehende Vorlage, entsprechend fand die Meinungsbildung im Vergleich zu den anderen Vorlagen etwas später statt.


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Jenny Roberts

Junior Data Scientist