VOX-Analyse: Die Informationsquelle prägte den Entscheid für das Covid-19-Gesetz
Nein-Stimmende haben sich beim Covid-19-Gesetz häufiger via Social Media, Ja-Stimmende häufiger via traditionelle Medien informiert. Ausserdem war seit der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 die durchschnittliche Stimmbeteiligung nie höher als 2021. Dies belegen die Resultate der Befragung von 3’420 Stimmberechtigten der VOX-Analyse November 2021. Die Studie wurde von gfs.bern durchgeführt und von der Bundeskanzlei finanziert.
Die Corona-Pandemie hat gleich drei Mal die Abstimmung stark beeinflusst. Erstens haben die alltäglichen Anstrengungen mit der Corona-Pandemie das Pro- und Contra-Lager stärker polarisiert: Während SVP-Sympathisierende klarer Nein gesagt haben, haben GLP- und FDP-Sympathisierende sowie Sympathisierende anderer Parteien im Vergleich zur Juni-Abstimmung deutlicher Ja gestimmt. Nein-Stimmende haben weniger redaktionelle Quellen, dafür beispielsweise Strassenplakate, Online-Kommentare oder Soziale Medien häufiger als Ja-Stimmende genutzt. Zweitens hat die Pandemie insgesamt die Stimmbeteiligung auf einen neuen Rekordstand gehievt: die durchschnittliche Stimmbeteiligung war seit Einführung des Frauenstimmrechts 1971 noch nie höher als 2021. Drittens hat die Pandemie auch den schon länger andauernden Pflegenotstand sichtbar gemacht, was zur grossen Solidarität mit dem Pflegepersonal geführt hat. Klatschen genügt nicht, weshalb das Pflegepersonal bessergestellt werden wird. Wenig beeinflusst von der Corona-Pandemie wurde die Justiz-Initiative: Das Stimmvolk entschied sich gegen das Losverfahren, auch wenn es Parteiunabhängige und Wahlchancen für parteilose Richterinnen und Richter wünscht. Dies belegen die Resultate der Befragung von 3’420 Stimmberechtigten der VOX-Analyse November 2021. Die Studie wurde von gfs.bern durchgeführt und von der Bundeskanzlei finanziert.
Lob und Unterstützung vom Stimmvolk für das Covid-19-Gesetz
Am 15. Juni 2021, als die Abstimmung des Covid-19-Gesetzes vorüber war, hiess es sprichwörtlich: nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung. Denn das Referendum wurde gleich gegen geänderte Teile des Covid-19-Gesetzes ergriffen und rund fünf Monate später wurde erneut abgestimmt. Die Zustimmung fiel im November noch etwas deutlicher aus als im Juni: Von 60 Prozent Zustimmung stieg es auf 62 Prozent. Von jung bis alt und von links nach rechts – kaum eine Gruppe hat mehrheitlich Nein gestimmt. Die Ausnahme bilden Ungeimpfte, SVP-Sympathisierende und diejenigen, die der Massnahmengegnerschaft oder den «Freunden der Verfassung» vertrauen. Im Vergleich zur Abstimmung im Juni haben sich die Lager stärker polarisiert: Während SVP-Sympathisierende klarer Nein gesagt haben, haben FDP- und GLP-Sympathisierende deutlicher Ja gestimmt. Personen mit anderen Partei-Sympathien haben nicht mehr mehrheitlich Nein, sondern mehrheitlich Ja gestimmt. In der deutschsprachigen Schweiz gab es insgesamt höhere Ja-Anteile als bei der ersten Abstimmung vom Juni 2021, in der französischsprachigen Schweiz weniger.
Die Kontra-Argumente fokussierten auf die Massnahmen und die Unzufriedenheit mit der Corona-Politik. Konträr stehen die Pro-Argumente, die sehr viel häufiger ausgedrückt wurden: Ziel ist es, die aktuelle Corona-Politik zu unterstützen, die Pandemie zu besiegen und sich solidarisch zu zeigen. Dafür wird das Covid-Zertifikat als wichtige Stütze angesehen. Zwar nutzten sowohl die Gegner:innen wie auch die Befürworter:innen verschiedene Medien intensiv, aber werberischer oder nutzergenierter Inhalt wie Strassenplakate, Online-Kommentare auf News-Portalen, soziale Medien und YouTube waren für die Gegner:innen deutlich wichtigere Quellen. Umgekehrt beachteten Ja-Stimmende Fernsehen, Radio, Zeitungen und das Bundesbüchlein noch stärker als Nein-Stimmende. Für Geimpfte war der zusätzliche Nutzen des Zertifikats für die Entscheidung im November relevant. Dieser Nutzen überwog die Bedenken der Gegnerschaft, dass mit dem Zertifikat eine Zweiklassengesellschaft geschaffen werde. Schliesslich zeigt das Abstimmungsresultat auch das Vertrauen, das der Bundesrat in der Bevölkerung geniesst: Das grundsätzlich hohe Vertrauen in den Bundesrat hat auch geholfen, dass das Covid-19-Gesetz deutlich angenommen wurde.
Der zweiten Covid-19-Abstimmung wurde rekordhohe Bedeutung beigemessen
Die Beteiligung am 28. November 2021 brachte mit 65,7 Prozent (Covid-19-Gesetz) die vierthöchste Stimmbeteiligung seit der Einführung des Frauenstimmrechts 1971. Mit dieser sehr hohen Beteiligung war das Jahr 2021 auch dasjenige mit der höchsten mittleren Beteiligung seit 1971. Im Unterschied zur Abstimmung vom 15. Juni 2021 mit dem ersten Referendum über das Covid-19-Gesetz war als noch zwei agrarpolitischen Vorlagen diejenigen mit der höchsten zugeschriebenen Bedeutung waren, war das zweite Referendum eindeutig die Leadvorlage: Die mittlere zugeschriebene Bedeutung auf einer Skala von 0-10 erreichte bei der ersten Referendumsabstimmung erst 7,0, nun stieg die Bedeutung bei der zweiten Covid-19-Gesetzes-Abstimmung auf 8,8, deutlich auf den höchsten Mittelwert der letzten beiden Legislaturen. Die insbesondere vom Referendumskomitee polarisiert geführte Debatte mobilisierte die politischen Pole aussergewöhnlich stark und bewegte ausserdem sehr viele Leute zur Teilnahme, die nur bei besonders wichtigen Abstimmungen teilnehmen.
Ja gegen den in der Pandemie deutlich sichtbaren Pflegenotstand
Die Pflegeinitiative war die erste Initiative mit linksgewerkschaftlichen Charakter überhaupt, die angenommen wurde. Die deutliche Annahme kam durch eine starke Unterstützung von Stimmenden aus dem linksgrünen Lager und dem politischen Zentrum zustande. Somit dürften die Ja-Parolen von SP, Grünen und GLP sowie auch die Stimmfreigabe aus der Mitte relevant gewesen sein. Das Ja war ausserdem Ausdruck von Vertrauen in die Gewerkschaften und in das Pflegepersonal und wurde gestärkt mit Werthaltungen für einen starken Sozialstaat und für Solidarität. Es kamen die ausserordentlichen Umstände in der Pandemie dazu, welche die überaus deutliche Annahme der Initiative erklären. Als wichtigstes Motiv der Ja-Seite wurde der Pflegenotstand genannt, der mit der Pandemie ins Bewusstsein rückte. Als eines der meistgenannten Erstmotive wollten viele Ja-Stimmende überdies ihre Wertschätzung für die Arbeit der Pflege in der Pandemie Ausdruck verleihen. Wer überdies einen direkten Bezug zur Pflege hatte, stimmte ebenfalls stärker für die Vorlage. Und schliesslich stimmte eine klare Mehrheit für die Vorlage, wenn sie ihre Stimmabgabe von der Pandemie beeinflusst sahen. Selbst die Nein-Stimmenden unterstützten die Ja-Argumente sehr deutlich, wenn Massnahmen gegen den Pflegenotstand oder Verbesserungen der Arbeitsbedingungen gefordert wurden. Das Nein-Lager, das stark von Anhängerschaften von FDP und SVP geprägt war, wollte dennoch keine solche staatliche Eimischung mit einer Sonderstellung der Pflege in der Verfassung und beurteilte den Gegenvorschlag besser.
Kein Zufall bei der Wahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichtern erwünscht
Die Justiz-Initiative hat darauf fokussiert, die Wahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichter per Losverfahren durchzuführen. Das Stimmvolk hat die Initiative aber deutlich abgelehnt. Die ablehnende Haltung kam mehrheitlich von Mitte- und rechten Parteien, aber auch links fand sich keine Mehrheit. Auch bei geringerem Vertrauen in Richterinnen und Richtern, das Bundesgericht und Parteien fanden sich keine Mehrheiten für die Vorlage. Die Gründe für ein Ja waren, dass Richterinnen und Richter parteiunabhängig agieren sollten, das neue System fairer wäre und Parteilose gewählt werden könnten. Aber die Kontra-Argumente, dass die Wahl zu einem Glückspiel verkäme und das bisherige System eines der weltweit besten sei, hat sehr viel stärker überzeugt. Unterm Strich hat also das Losverfahren nicht überzeugt, auch wenn rund die Hälfte der Stimmbevölkerung für parteiunabhängige Richter:innen sind und die Wahl von Parteilosen ermöglichen möchten.
Klicken Sie hier für alle Resultate und Analysen.