VOX-Analyse: Die Frage nach Gerechtigkeit prägte die Abstimmung vom 26. September

12.11.2021 | Tobias Keller, GFS Bern

Eine Frage der Gerechtigkeit – doch mit zwei unterschiedlichen Ausgängen. Die ‹Ehe für alle› bringt eine Gleichberechtigung für gleichgeschlechtliche Paare, entspricht explizit dem Zeitgeist und findet eine breite Mehrheit fand. Die Volksinitiative ‹Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern› hingegen schafft es nicht, eine ’neue› Gerechtigkeit bei der Kapitalbesteuerung zu schaffen.

Grafische Darstellung der Ergbnisse der VOX-Analyse zur Abstimmung vom 26. September 2021: Die Frage nach Gerechtigkeit prägte die Abstimmung vom 26. September

Die Sorge vor der Schwächung des Mittelstandes und wirtschaftliche Gründe haben zu einem Nein bei der Kapitalbesteuerung geführt. Obwohl beide Initiativen klare Mehrheiten von ‹links› hatten, erhielt nur die Ehe für alle auch breite Unterstützung von Sympathisierenden anderer Parteien und von Parteiunabhängigen. Dies belegen die Resultate der Befragung von 3’024 Stimmberechtigten der VOX-Analyse September 2021. Die Studie wurde von gfs.bern durchgeführt und von der Bundeskanzlei finanziert.

 

Nein zur Änderung des Status Quo bei der Kapitalbesteuerung

Die Kapitalbesteuerung zielt darauf ab, dass Kapitaleinkommen wie Zinsen oder Dividenden höher besteuert würden. Die Mehrheit der Bevölkerung hat aber die Initiative abgelehnt. Zustimmung erhielt die Initiative lediglich von ‹links›. Mitte, Rechts und Personen ohne Parteibindung haben ein klares Nein eingelegt. Die Gründe der Pro-Seite waren, dass damit mehr Steuergerechtigkeit geschaffen und damit auch die Ungleichheit bekämpft werden kann, aber diese Argumente haben keine Mehrheit erreicht. Die Nein-Gründe, die mehr überzeugten, zeugten davon, dass der Status Quo bei der Kapitalbesteuerung nicht geändert werden soll: Kapital werde bereits besteuert, es gäbe bereits genug Umverteilung und der Mittelstand würde bei einem Ja leiden. Nur ein Pro-Argument hat eine Mehrheit erreicht: Wenn der Unterschicht und dem Mittelstand mehr Geld zur Verfügung stünden, würde das die Schweizer Wirtschaft ankurbeln. Doch der Status Quo und die Sorge über eine mögliche Schwächung des Mittelstands hielten eine Mehrheit davon ab, die derzeitige Kapitalbesteuerung zu ändern.

 

Ja zur überfälligen Gleichberechtigung für gleichgeschlechtliche Paare

Die ‹Ehe für alle› führt eine Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Paare ein. Die Gesetzesänderung erhielt Unterstützung von fast allen Seiten: Durch fast alle Altersgruppen erhielt sie grosse Unterstützung, ebenso von Personen, die sich als links oder rechts einstufen. Gegenwind kam nur aus vereinzelten Personengruppen: Nämlich von Personen, die sich als ‹rechtsaussen› bezeichnen, die mit der SVP sympathisieren und die Freikirchen sehr stark vertrauen. Die Anhängerschaft der Mitte war gespalten: 49 Prozent stimmten für die Ehe für alle. Die Nein-Motive und –Argumente waren kirchlich respektive konservativ geprägt: Die Ehe für alle sei unnötig, falsch oder nicht nach Gottes Plan. Ebenso hat die ‹Kinder-Frage› polarisiert: das Nein-Lager hat argumentiert, dass Kinder Mutter und Vater als Vorbild brauchen. Alle diese Argumente fanden aber bei weitem keine Mehrheit. So haben die Pro-Argumente sehr viel stärker überzeugt und auch im Nein-Lager Zuspruch gefunden: Die Ehe für alle war längst überfällig und entspricht dem heutigen Zeitgeist. Sogar Personen, die eine gemischte Haltung dazu haben, ob die Schweiz eher mit dem Zeitgeist gehen oder eher die Traditionen wahren soll, haben mehrheitlich Ja gestimmt. Ebenso sei auch bei der Kinder-Frage entscheidend, dass sie Liebe und Fürsorge erfahren – und nicht die sexuelle Orientierung der Eltern. Damit zieht die Schweiz mit der Gleichberechtigung für gleichgeschlechtliche Paare mit ihren Nachbarländern gleich.


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Tobias Keller

Tobias Keller

Projektleiter und Teamleader Data Analytics