VOX-Analyse: Gesundheit und Steuern als Hauptmotiv bei den Februar-Abstimmungen

02.04.2022 | Tobias Keller, GFS Bern

Das Stimmvolk hat am 13. Februar zwei Mal für die Gesundheit der Bevölkerung und zwei Mal gegen neue Finanzierungsquellen für Firmen und Konzerne gestimmt.

Dies belegen die Resultate der Befragung von 3’168 Stimmberechtigten der VOX-Analyse Februar 2022. Die Studie wurde von gfs.bern durchgeführt und von der Bundeskanzlei finanziert.

 

Das Ja für das Tabakwerbeverbot ist ein klares Zeichen für den Schutz der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Dafür werden auch negative wirtschaftliche Konsequenzen, zum Beispiel weniger Sponsorengelder für Events, in Kauf genommen. Auch das Nein beim Tierversuchsverbot ist aufgrund der Sorge nach Gesundheit zustande gekommen: Denn die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wollen keine Abstriche bei der medizinischen Versorgung und dem Wissenschaftsstandort Schweiz machen. Die beiden Nein bei der Stempelabgabe und dem Medienpaket kamen aufgrund der als unfair empfundenen Geldverteilung zustande: Das Stimmvolk sah keinen Grund, dass Konzerne und Firmen keine Stempelabgaben mehr zahlen müssten – vor allem auch aus der Sorge, dass sie mehr Steuern zahlen müssten. In eine ähnliche Kerbe schlägt das zentrale Argument beim Medienpaket: Es sollten nicht noch mehr Steuergelder für die Subventionierung der Medien ausgegeben werden. Das hätte zu einer stärkeren Abhängigkeit der Medien geführt, ihrer Glaubwürdigkeit geschadet und den Markt verzerrt.

 

Klares Zeichen für den Schutz des Forschungsstandorts Schweiz

Die Volksinitiative zum Tier- und Menschenversuchsverbot hat ein bedingungsloses Verbot von Tier- und Menschenversuchen sowie des Imports von so entwickelten Produkten gefordert. Das Stimmvolk hat die Initiative deutlich abgelehnt. Weder ältere noch jüngere, weder linke noch rechte Personen – nicht einmal bei denjenigen, die Tierschutzorganisationen stark vertrauen: Für die Initiative liess sich keine Mehrheit formieren. Die Motive der Ja-Stimmenden waren vor allem zweierlei: sie wollten den Schutz der Tiere stärken und forderten die Wissenschaft auf, ohne Tier- und Menschenversuche zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Doch die Meinung, dass dieser Fortschritt ohne diese Versuche möglich ist, war sehr stark umstritten. Für die Nein-Stimmenden sind die Experimente essenziell, schützen den Forschungsstandort Schweiz und stellen die medizinische Versorgung sicher. Zusätzlich findet die grosse Mehrheit der Bevölkerung, dass die aktuelle Zahl von Tierversuchen sich auf das absolut notwendige Mass beschränkt. Dementsprechend ist dem Stimmvolk wichtiger, dass die medizinische Versorgung sichergestellt ist und der Wissenschaftsstandort Schweiz nicht geschwächt wird, als den Tierschutz auszubauen.

 

Kinder besser vor der Versuchung des Rauchens schützen

Das Tabakwerbeverbot fordert einen umfassenden Schutz für Kinder und Jugendliche vor Tabakwerbung – inklusive E-Zigaretten. Der Bundesrat und das Parlament haben einen indirekten Gegenvorschlag erarbeitet. Die Volksinitiative wurde vom Stimmvolk angenommen. Jüngere, höher Gebildete – und der Mittelstand haben mehrheitlich Ja gestimmt. Ebenso gab es viel Unterstützung aus dem linken und zentralen politischen Spektrum. FDP- und SVP-Sympathisierende waren hingegen mehrheitlich dagegen. Nein-Stimmende finden die Eigenverantwortung und mehr freier Wettbewerb wichtiger. Für sie ist das Werbeverbot unnütz und gefährdet die freie Gesellschaft mit zu vielen Verboten. Die grosse Mehrheit – auch der Nein-Stimmenden – sehen sich aber in der Pflicht, Kinder und Jugendliche zu schützen und ihre gesunde Entwicklung zu fördern. Für die Ja-Stimmenden ist deshalb klar, dass das Werbeverbot die Kinder schützen wird und die Gesundheit der Bevölkerung fördert. Somit setzt das Stimmvolk ein klares Zeichen für einen stärkeren Schutz von Kindern und Jugendlichen – und nimmt damit einen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit in Kauf.

 

Keine Steuererleichterung für Firmen und Konzerne

Die Änderung des Gesetzes über die Stempelabgaben zielte auf die Abschaffung der Emissionsabgabe. Damit wären Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten entlastet worden und hätte das Wirtschaftswachstum stärken können. Das Referendumskomitee argumentierte, dass davon grösstenteils Grosskonzerne, Banken und Versicherungen profitieren würden – die aber keine Entlastung bräuchten. Obwohl die Gesetzesänderung Unterstützung von SVP, FDP, der Mitte und GLP erhielt, wurde sie abgelehnt. Einzig von Personen, die sich «rechts» verorten, und Sympathisierenden der SVP und FDP erhielt die Gesetzesänderung mehrheitlich Ja-Stimmen. Ja-Stimmende zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie hohes Vertrauen in Wirtschaftsverbände, Banken und Grosskonzerne haben. Die grosse Mehrheit des Stimmvolks sah dies aber anders. Für sie war die Unterstützung des Wirtschaftsstandorts zu wenig wichtig. Für sie ist zentral, dass davon primär Konzerne profitieren, die Bevölkerung den Steuerausfall aus den eigenen Taschen bezahlen müssen und die Änderung eine undurchsichtige Steuererleichterung für Reiche ist. Das Stimmvolk setzt deshalb darauf, dass die Wirtschaft stabil genug ist, um auch in schwierigen Zeiten mit der Stempelabgabe zu wachsen.

 

Die Marktwirtschaft reguliert die Medienbranche und die Medien bleiben unabhängig

Die Medienlandschaft der Schweiz ist in einem starken Wandel. Um die Qualität und Vielfalt der Medien sicherzustellen, wurde ein Medienpaket erarbeitet, dass Online-Medien fördern, Lokalradios und Regionalfernsehen stärker unterstützen und die Zustellung von abonnierten Zeitungen ausdehnen soll. Das Referendumskomitee hielt dagegen, dass die Steuergelder in Medienkonzerne fliessen würden, die Unterstützung den Markt verzerren und die Medien abhängig machen würden. Diese Argumentationslinie hat auch die Mehrheit des Stimmvolk überzeugender gefunden, weshalb das Medienpaket abgelehnt wurde. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede bei den Ja- und Nein-Stimmenden: 18-29-Jährige, Personen von Links, Sympathisierende der Grünen, der SP, der GLP, und der Mitte und solche, die hohes Vertrauen für SRG SSR, lokale und regionale Medien, Medienkonzerne und Journalist:innen hegen, haben mehrheitlich Ja gestimmt. Sie wollten damit die Medienvielfalt ausbauen, finanzielle Unterstützung bieten und die Demokratie stärken. Doch sie waren in der Minderheit. Denn für die Mehrheit, unter denen sich ältere Personen, Sympathisierende der SVP und FDP sowie Personen mit geringem Vertrauen in die Medien befanden, war klar: Das Medienpaket führt zu einer ungerechten Verteilung der Gelder, bedroht die Demokratie, indem es Medien staatsabhängig und unglaubwürdig macht, und verzerrt die Marktwirtschaft, die auch die Medienbranche reguliert. Die Frage, ob die grösseren Subventionen die Medien vom Staat abhängig machen, hat das Stimmvolk am stärksten polarisiert. Somit setzt das Stimmvolk auf die Marktwirtschaft, damit die Unabhängigkeit der Medien vom Staat gewährleistet wird und die Medien glaubwürdig bleiben.

 

2022 startet mit tiefer Mobilisierung und Vorlagen mit tiefer persönlicher Bedeutung

Die Beteiligung am 13. Februar 2022 lag mit rund 44 Prozent vergleichsweise tief. Im November 2021 wurde mit 65,7 Prozent eine sehr hohe Marke erreicht, die auch aufgrund der sehr mobilisierenden Abstimmungsvorlagen (z.B. COVID-19-Gesetz) zustande kam. Im Vergleich liegen die Bedeutungen der Februar-Abstimmung deutlich tiefer: Die Vorlagen erhielten eine Bedeutung zwischen 5,6 und 6,6 auf einer 10er-Skala, womit sie nicht annähernd als so bedeutend wie die Abstimmung im November 2021 zum Covid-19-Gesetz bewertet wurden (8,8).

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Tobias Keller

Tobias Keller

Projektleiter und Teamleader Data Analytics