Lobbying Survey Switzerland 2022

27.02.2023 | gfs.bern in Zusammenarbeit mit dem Institut für Verbands-, Stiftungs- und Genossenschafts-Management (VMI) der Universität Fribourg

Lobbying in der Schweiz: systemimmanent, erfolgreich und nicht nur beliebt

Parlamentarier:innen und Beamte haben stabil ein neutrales Bild von Lobbying. Die Bevölkerung steht hingegen Lobbying mehrheitlich negativ gegenüber, allerdings auf einer abstrakten Ebene. Im konkreten werden Lobbyingintstrumente begrüsst.

Hauptgrund für eine positive Beurteilung ist das Milizsystem, das auf Fachinformationen von Lobbyierenden angewiesen ist. Gegen Lobbying spricht der Fokus auf Partikular- und Eigeninteressen sowie die als zu stark wahrgenommene Einflussnahme auf die Politik.

Für die Studie wurden 354 Lobbyierende, 54 Belobbyierte und 1000 Stimmberechtigte befragt.

Lobbying Survey Schweiz 2022

Vergleich 2011 vs. 2022

Belobbyierte haben stabil ein neutrales Bild von Lobbying. Die Bevölkerung steht Lobbying tendenziell negativer gegenüber. Hauptgrund für eine positive Beurteilung ist das Milizsystem, das auf Fachinformationen von Lobbyierenden angewiesen ist. Gegen Lobbying spricht der Fokus auf Partikular- und Eigeninteressen sowie die als zu stark wahrgenommene Einflussnahme auf die Politik.

Wie bereits 2011 sollen Lobbyierende vor allem zuverlässig, empathisch und transparent sein sowie politischen Instinkt aufweisen. Die Zurückhaltung im Auftritt ist aus Sicht der Lobbyierenden deutlich weniger wichtig als noch vor elf Jahren.

Aus Sicht der Belobbyierten wird das Lobbying von allen abgefragten Gruppen – allen voran jenes der politischen Parteien und von Verbänden – als erfolgreicher eingeschätzt als noch 2011.

Im Vergleich zu 2011 plädieren die Lobbyierenden und Belobbyierten heute deutlich stärker für Transparenz, insbesondere hinsichtlich der Parteienfinanzierung und der Budgets von Lobbyingorganisationen.

Interessengruppen und ihre Aktivitäten

Mit Lobbying wollen Interessengruppen primär ein Bewusstsein schaffen für spezifische Interessen. Erst darauf folgen die Einflussnahme auf politische Prozesse und die Stärkung des Informationsstands. Die Erhöhung der eigenen Visibilität sowie die Stärkung der Ressourcen- und der Mitgliederbasis sind dahingegen sekundär.

Dabei adressieren lobbyierende Organisationen v.a. (andere) Verbände/Interessengruppen sowie die Medien. Erst darauf folgen das nationale Parlament und die Bundesverwaltung. Politische Parteien oder auch die Bevölkerung bewegen sich im Mittelfeld; die Regierung zählt nur bei wenigen Organisationen zum primären Adressat:innenkreis.

Das am häufigsten eingesetzte Instrument ist die Eingabe beim Vernehmlassungsverfahren. Darauf folgen der persönliche Austausch, die Information via E-Mail/E-Newsletter und die Publikation von eigenen Informationsmaterialien. Schalten von politischer Werbung (online oder Print), Kampagnenplattformen und Demonstrationen/Protestaktionen kommen eher selten zum Einsatz. Formen des zivilen Ungehorsams sowie andere illegale Aktionen bilden das Schlusslicht. Spannend ist der Blick auf Instrumente, die in den letzten Jahren im Lobby-Mix an Bedeutung verloren haben: Pressekonferenzen/Medienmitteilungen, Demonstrationen/Protestaktionen und ziviler Ungehorsam sowie am deutlichsten die politische Werbung in den klassischen Massenmedien.

Im Hinblick auf die Messung des Lobbying-Erfolgs haben die Befragten mit ihren Bemühungen vorwiegend erreicht, bestimmte Themen auf die politische Agenda zu setzen. Bezüglich Policy-Einfluss, der vergleichsweise weniger rapportiert wurde, scheinen sie v.a. Änderungen eines Gesetzesvorschlags im Parlament angestossen zu haben.

Bezüglich der Konkurrenzsituation im Lobbying sagen die meisten Organisationen aus, zwar mehrere Wettbewerber:innen in ihrem Feld zu haben, wobei jedoch der Konkurrenzkampf nicht sehr deutlich ausgeprägt sei. So berichtet nur rund ein Viertel von einem aggressiven Umgang miteinander.

Einen Druck hin zu mehr Digitalisierung nehmen Interessengruppen vorwiegend von Adressat:innen ausserhalb des politisch-administrativen Entscheidungssystems wahr und weniger vonseiten der Politik und der Verwaltung.

Politik und Verwaltung – die Lobbying-Zielgruppen

Adressat:innen von Interessenvertretung im politisch-administrativen Entscheidungssystem haben ein gespaltenes Bild von Lobbying. Nebst der neutralen Einschätzung stehen sich in etwa zwei gleichgrosse Gruppen mit einem positiven resp. negativen Bild gegenüber.

Die grosse Mehrheit der Befragten sieht die Interessenvertretung als integralen Bestandteil des demokratischen Prozesses, auch wenn 67 Prozent gewisse Einschränkungen bei der Transparenz sehen.

Die Taktiken, welche die grösste Akzeptanz geniessen, sind nebst Vernehmlassungseingaben diverse Informationsaktivitäten on- und offline sowie die Mobilisierung von Mitgliedern oder der Bevölkerung. Der persönliche Face-to-Face- oder Telefon-Kontakt folgt erst an achter Stelle, wobei Parlamentarier:innen diesen Formen eine grössere Akzeptanz entgegenbringen als die Verwaltung.

Im Hinblick auf die Lobbyist:innen selbst sprechen Politik und Verwaltung ersteren v.a. Expertise zu (Professionalität, Kompetenz, Qualifikation). Die Faktoren Integrität und Wohlwollen fallen durchzogener aus, jedoch generell mit einer positiven Tendenz (ausser beim Aspekt der Moralität).

Die Digitalisierung hat im Lobbying und Parlamentsbetrieb insbesondere zu einer Daten- resp. Informationsflut geführt, wodurch Informationen verloren gehen können. Gemäss 19 Prozent der Antwortenden hat die Transparenz generell abgenommen. Ein Teil sieht jedoch auch positive Aspekte, wie etwa eine Effizienzsteigerung oder die Vereinfachung der Dokumentenhandhabung.

Durch COVID-19 kam es zu weniger persönlichen Kontakten zwischen Lobbyist:innen und Parlamentarier:innen (sowie auch bei letzteren untereinander). Die Lösungsfindung während der Pandemie war entsprechend erschwert. 26 Prozent der Antwortenden stellen zudem einen Schub im Einsatz von digitalen Kommunikationskanälen fest. Ein Teil der Antwortenden sieht allerdings keine Veränderungen durch COVID-19 im Lobbying oder Parlamentsbetrieb.

Stimmbevölkerung

Die Schweizer Stimmbürger:innen sehen Lobbying als Ganzes skeptisch. Sie haben insgesamt mehrheitlich ein negatives Bild von Lobbying und bestätigen diese kritische Grundhaltung auch in der Beurteilung von konkreten Aussagen zu Lobbying. An Lobbying stört insbesondere die darin angelegte Eigennutzoptimierung, nicht gleichlange Spiesse für die verschiedenen Minderheitenanliegen und fehlende Transparenz.

Allerdings ist diese Skepsis eher abstrakt und bezieht sich nicht auf alle Aspekte von Lobbying gleichermassen. Auf breite Akzeptanz stossen insbesondere die einzelnen Lobbying-Massnahmen wie Medien- und Informationsarbeit, Mobilisierungsbemühungen, sowie Lobbyingarbeit gegenüber den politischen Gremien. Einzig ziviler Ungehorsam und illegale Aktionen werden als Instrumente zur Interessensdurchsetzung verworfen. Auch wenn damit Lobbying als Grundsatz in der Bevölkerung kritisch beurteilt wird, werden die Lobbying-Instrumente akzeptiert.

Es erstaunt so auch nicht, dass die Bevölkerung Lobbying mehrheitlich nicht verbieten, wohl aber regulieren will. Erhöht werden soll die Transparenz, sei dies durch Akkreditierungspflicht für Lobbyist:innen. Offenlegen von Finanzen oder von Kontakten sowie öffentliche Hearings stehen dabei im Zentrum des Wunschbildes.

Fast alle Befragten geben an, in den vergangenen zwölf Monaten an Abstimmungen oder Wahlen teilgenommen zu haben, und knapp drei Viertel haben im letzten Jahr eine Petition, Initiative oder ein Referendum unterschrieben. Damit ist das politische Engagement bei grossen Mehrheiten ausgeschöpft. Grassroots-Aktivismus auf der Strasse oder auf Social Media sowie direkte Ansprache von Politiker:innen und Verwaltungsangestellten nutzen nur Minderheiten in der Grössenordnung von 25plus Prozent. Allerdings ist eine solche Minderheit nicht unerheblich und lässt vermuten, dass im Grassroots-Aktivismus für die Zukunft durchaus noch nicht ausgeschöpftes Potenzial liegt.

Grassroots-Aktivismus lässt sich allerdings nicht einfach für jedes politische Ziel gleichermassen aktivieren: Die Stimmbürger:innen nehmen an politischen Aktivitäten in erster Linie teil, weil ihnen das Thema wichtig ist und weil sie sich bei diesen Aktivitäten gut fühlen.

Hier geht’s zum gesamten Bericht auf Deutsch

Das Forschungsprojekt «Lobbying Survey Switzerland 2022» entstand in Kooperation mit dem Institut für Verbands-, Stiftungs- und Genossenschaftsmanagement (VMI) der Uni Fribourg.


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Marco Bürgi

Marco Bürgi

Projektleiter