Abstimmungsanalyse 13. Februar 2022:
Nein, Nein und nochmals Nein

13.02.2022 | Martina Mousson, GFS Bern

Das Schweizer Stimmvolk hat entschieden. Einmal mit und dreimal gegen Parlament und Regierung.

Die Behörden haben seit den Wahlen 2019 vermehrt Mühe ihre Positionen in Abstimmungen erfolgreich durchzusetzen – ein Umstand der sich im Pandemie-Kontext nochmals verschärft hat. Über insgesamt 26 Abstimmungsvorlagen hat das Schweizer Stimmvolk seit Beginn der laufenden Legislatur abgestimmt. 12 davon waren Volksinitiativen, 14 Referenden. Neun Mal hat das Stimmvolk dabei gegen Bundesrat und Parlamentsmehrheit entschieden. Das entspricht einer Erfolgsquote der Behördenposition von 70 Prozent. Auffällig sind insbesondere die gestiegenen Chancen für erfolgreiche Referenden.

Mit den heutigen Behördenniederlagen bei der Stempelsteuer und dem Mediengesetz ist die Erfolgsquote für Referenden auf bemerkenswert hohe 43 Prozent gestiegen. Mittelfristig betrachtet für den Zeitraum von 2011 bis 2020 lag sie bei deutlich tieferen 26 Prozent. Auch die Annahmequote für Volksinitiativen ist kurzfristig höher als mittelfristig. Für den Zeitraum von 2011 bis 2020 lag sie bei 9 Prozent, für den Zeitraum seit den Wahlen 2019 bis dato liegt sie bei 25 Prozent. Würde man die lediglich am Ständemehr gescheiterte KVI mittzählen gar bei einem Drittel. Was ist hier geschehen? Sind Schweizer Stimmberechtigte den Behörden gegenüber kritischer geworden? Die Schweizer Stimmberechtigten ein Volk von Nein-Sager:innen?

Von einer grundsätzlichen Vertrauenskrise zu sprechen wäre verfehlt, denn das Vertrauen in die Landesregierung oder die Behörden im weiteren Sinne ist und bleibt intakt (siehe Grafik). Weniger als ein Drittel der Stimmberechtigten äussert sich in dieser Frage kritisch. Die klare Mehrheit glaubt jedoch daran, dass man Regierung und Parlament vertrauen kann.

Grafische Darstellung des Trends

Es ist auch nicht so, dass die Stimmung gegen die Behörden eine eindeutige politische Couleur tragen würde. Wir haben es also nicht mit einer Systemopposition im klassischen Sinne zu tun. Vielmehr zeigt gerade der heutige Abstimmungssonntag, dass es sowohl links wie rechts gelingt, erfolgreiche Referenden oder Initiativen zu lancieren. So wurde das Mediengesetz von rechts und die Stempelsteuer von links bekämpft und beide Positionen konnten sich durchsetzen.

Offensichtlich gelang es in der Kommunikation nicht wirklich zu zeigen, warum ein Kompromiss bei einem Referendum sinnvoll ist (Mediengesetz) oder weshalb der indirekte Gegenvorschlag ausreichend ist (Tabakwerbeverbot). Der Aufschlag der Komitees zu Beginn der Kampagnenphase hat gesessen und der der Gout der damit gesetzt wurde konnte im weiteren Verlauf nicht mehr gedreht werden. Was üblicherweise in Abstimmungskämpfen geschieht, dass sich am Ende einige von der Behördenposition überzeugen lassen, erweist sich im Pandemiekontext als schwieriger. Andererseits haben diese Pakete, die im Parlament geschnürt wurden, nicht überzeugt. Kompromisspakete oder indirekte Gegenvorschläge passen dem Volk offensichtlich nicht.

Der Pandemiekontext darf bei all dem nicht unterschätz werden. Es wurden Menschen politisiert, die sich normalerweise nicht an Abstimmungen beteiligen. Das sind Menschen, die sich fernab von Positionen von etablierten Akteuren eine Meinung bilden. Zudem finden Diskussionen nicht gleich wie üblich statt. Das erschwert den üblichen Behördenkick gegen Ende eines Abstimmungskampfes, wie wir ihn früher häufiger beobachten konnten. Der Austausch über das eigene politische Lager hinaus ist erschwert und wäre gerade für im Parlament geschnürte Pakete im Sinne einer lagerübergreifenden Konsensfindung wohl wichtig.


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Martina Mousson

Martina Mousson

Projektleiterin